jubiläum 2019

100 jahre bauhaus im westen

Der Gestaltungswille der Bauhaus-Bewegung umfasste weit mehr als neue Architekturen und Produktentwürfe: Vom Kunstgewerbe bis zur Industriearchitektur, von der Mode zu Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens, von der Sehnsucht nach demokratischem Aufbruch bis hin zu Flucht und Exil.

Die Ideen- und Kraftströme für neue Gestaltungsideen flossen in beide Richtungen: Von den Bauhauszentren Weimar, Dessau und Berlin in den Westen, aber auch durch Aktivitäten von Persönlichkeiten aus Rheinland und Westfalen dorthin zurück. Man kann sogar von starken Wurzeln des Bauhauses sprechen, die etwa im westfälischen Hagen liegen, wo der Kunstmäzen und –sammler Karl Ernst Osthaus, ein vehementer Förderer des Bauhausgründers Walter Gropius, eine für die Entwicklung der Moderne zentrale Rolle spielte, was mit dem Begriff „Hagener Impuls“ verbunden ist. Grundlegend für die Entwicklung der Bauhausidee war auch die Werkbundausstellung in Köln kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Krefeld nennt sich selbst mittlerweile „Bauhaus-Stadt“ und hat u.a. Mies van der Rohe, Lilly Reich, Johannes Itten und Georg Muche als klangvolle Referenzadressen aufzubieten. Das 1924 fertiggesellte Landhaus Ilse in Burbach- Siegerland darf als wirkliche Neuentdeckung gewertet werden, ähnelt es doch stark dem „Haus am Horn“, das das Bauhaus 1923 in Weimar als sein erstes Musterhaus errichtete. Es gibt nicht nur ein „Bauhaus“, das Land NRW hat Substanzielles zur Entdeckung der Vielfalt von Umsetzungen, Transformationen und spezifischen Anwendungsfällen der Bauhausidee beizutragen.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sowohl avantgardistische Strömungen als auch die Entfaltung eines modernen Kunstgedankens im Westen durch die moderne Kunstszene (Rheinischer Expressionismus, Sonderbund, Westfälischer Kunstverein), den Einfluss sowohl von Mäzenen (Karl Ernst Osthaus) als auch von Kunsthändlern (Alfred Flechtheim, Walter Cohen) stark geprägt. Sie waren der Ausgangspunkt und schafften die Grundlage für ein modernes, reformatorisches Gedankengut in der Kunst, das auch für das Bauhaus wichtige Impulse lieferte und den „Westen“ als bedeutenden Dreh- und Angelpunkt für Kunst, Kultur und Wirtschaft betonte. Einen besonders hohen Stellenwert nahmen die Kunstgewerbeschulen (z.B. in Köln, Aachen oder Düsseldorf) ein, auf deren Idealen und Konzepten das Bauhaus als progressivste Kunstschule des 20. Jahrhunderts fußte.
Im Zuge der Aufbruchsstimmung um die Gründung der Weimarer Republik und des Bauhauses schlossen sich viele Kunstschaffende in weiten Teilen Deutschlands zu Künstlervereinigungen zusammen. Ziel war die Demokratisierung der Kunst und des gesamten Kulturlebens. Eine der renommiertesten Vereinigungen nannte sich „Junges Rheinland“. Sie bestand zwischen 1919 und 1932 und umfasste ca. 300 Künstlerinnen und Künstler, darunter Otto Dix und Max Ernst.

Zahlreiche Bauhäuslerinnen und Bauhäusler an Rhein und Ruhr übten Lehrtätigkeiten aus oder arbeiteten mit der Industrie zusammen (sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg).  Zwischen den Bauhaus-Standorten und dem heutigen NRW bestanden also enge Beziehungen und ein Transfer von Ideen.  Renommierte Bildungseinrichtungen konnten davon profitieren: So lehrten Johannes Itten und Georg Muche an der Krefelder Textilfachhochschule. Besonders viele Bauhäuslerinnen und Bauhäusler konnte die Essener Folkwang Schule für Gestaltung gewinnen, die die Ideen des Bauhauses auch nach 1933 vermittelten.
Max Burchatz, Werner Graeff, Benita Koch-Otte, Margarete Willers, Fritz Winter und Max Peiffer-Watenpfuhl – sie alle sind wichtige, aber weniger bekannte Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Design, Textilkunst und der Nachkriegsmoderne mit Bauhaus-Bezug. Ihr künstlerisches Erbe ist bis heute in Sammlungen, Stiftungen und Kunstschulen in Nordrhein-Westfalen sichtbar.

Margarete Willers (1883-1977) etwa war ausgebildete Malerin und studierte zwischen 1920 und 1922 am Bauhaus in Weimar. Von 1928 bis 1943 lehrte sie an der Folkwang Schule für Gestaltung. Benita Koch-Otto (1892-1976) begann ihr Studium am Bauhaus ebenfalls 1920. Später arbeitete sie dort in der Webereiwerkstatt. Zwischen 1934 und 1957 leitete sie die Weberei in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. Beide Künstlerinnen hatten die Kurse von Itten und Klee besucht, was sich gut an ihren Webarbeiten ablesen lässt: Sie arbeiteten mit den Grundformen (Kreis, Dreieck, Quadrat) in Einklang mit den drei Grundfarben (Gelb, Rot, Blau). Die abstrakten Formen und konstruktiven Gestaltungseinflüsse bildeten die ästhetische Grundlage ihrer Entwürfe und sind in ihrer Komplexität als ein Ganzes, als Einheit von Form, Farbe und Materie zu verstehen. Zu den wichtigsten Werken von Koch-Otto gehört der Teppich im Direktorenzimmer von Walter Gropius. Kontrovers bleiben, neben den erfolgreichen Entwürfen von Koch-Otte, zwei um 1937 angefertigte und heute verschollene Wandbehänge mit Hakenkreuz und NS-Insignien.

Der Maler Max Peiffer Watenphul (1896-1976) gab die juristische Laufbahn zugunsten einer Künstlerausbildung auf und knüpfte früh Kontakte zur Avantgarden Kunstszene in München. Dort lernte er Paul Klee kennen und ging ein Jahr später 1919 ans Bauhaus in Weimar. Als frühes Mitglied des Künstlerbundes „Das Junge Rheinland“ und einem Vertrag mit der Galerie Flechtheim, konnte er seine Werke bereits früh ausstellen. Er lehrte von 1927-1931 an der Folkwang-Schule in Essen und später nach seiner Rückkehr aus dem Exil, von 1941-1943 an der Texilfachschule in Krefeld. Er verließ Krefeld nach der Zerstörung seines Ateliers und der Webeschule beim Luftangriff 1943. Die Eindrücke der industriellen Landschaft in NRW sind in wenigen eindrucksvollen Werken Peiffer-Watenphuls sichtbar und zeugen von dem Einfluss auf sein künstlerisches Schaffen.

Fritz Winter (1905-1976), gelernter Elektriker und Bergmann aus Unna, studierte 1927-1930 am Bauhaus in Dessau. Dort konnte er seine ersten Malversuche bei Josef Albers und Paul Klee weiter vertiefen und nahm an ersten Ausstellungen teil, unter anderem „Junge Bauhausmaler“ 1929. Kontakte zu Ernst Ludwig Kirchner und seine Tätigkeit im Atelier von Naum Gabo in Berlin, prägten seinen abstrakten Malstil. Trotz des Malverbots 1937 gelang es Winter im Exil mit Hilfe von Naum Gabo an der berühmten Ausstellung Guggenheim Jeune im Mai 1939 teilzunehmen und einen Teil seiner frühen Arbeiten vor der Zerstörung zu retten. Erst 1949 kehrte Winter aus russischer Gefangenschaft zurück nach München und gründete dort mit Willi Baumeister und Ruprecht Geiger die Gruppe ZEN 49. Geprägt vom Bauhaus entwickelte Winter ein sehr umfangreiches Oeuvre zwischen Konstruktivismus und Informel und gilt heute als wichtigster Vertreter der Nachkriegskunst in Deutschland.