So folgt das Projekt „100 jahre bauhaus im westen“ zwar den Lockrufen der sensationellen Gestaltungs-Avantgarde und radikalen Ideenschmiede und ihren Spuren im heutigen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Aber es werden die gleichfalls weltweit Maßstäbe setzenden Errungenschaften der ersten Demokratie Deutschlands und ihre seinerzeit modernste sozialstaatliche Verfassung gewürdigt und präsentiert.
Dies hat seinen Grund nicht zuletzt in dem generellen Tenor, der sowohl die bundesweiten Vorbereitungen und Zielsetzungen des Bauhausjubiläums bestimmt als auch das Narrativ von „bauhaus im westen“: Es geht letztlich um Aktualisierungspotenziale und gesellschaftliche Relevanzen, um Chancen eines großen Aufbruchs, der nach den realen Zerstörungen, den seelischen Traumata und dem Absturz überkommener Ideale in Folge des Ersten Weltkrieg mit großem Elan ins Werk gesetzt wurde. „Wie wollen wir leben?“ fragten sich die Bauhäusler genauso wie die Verfassungsväter – es waren ganz überwiegend „Häusler“ und „Väter“ - der Weimarer Republik in einer bislang nicht gekannten Radikalität. Deshalb ließen sich Fragen der Gestaltung von Lebensräumen nicht von Fragen des politischen Zusammenlebens trennen.
Der Zusammenklang von Kunst und Politik kennt auch den Dis-Akkord: Gropius wurde nämlich seinen eigenen emanzipatorischen Idealen nicht gerecht, sondern fiel in (gesellschafts-) politische Konventionen zurück, die letztlich auch sein Kunstkonzept beschnitten: Frauen wurden zwar am Bauhaus zugelassen und auch als Meisterinnen eingesetzt, jedoch nur in „frauentypischen“ Bereichen wie der Weberei. Heute versteht man unter Bauhaus eher „Geschmack statt Utopie, Design statt Politik“ (Julia Voss). Doch kommt die Politik fast wie von selbst zurück. Damals ging es um den Neuanfang im Zeichen erstmals durchdringender Industrialisierung, einer neuen „Sachlichkeit“ der Rationalisierungs- und Effizienzökonomie. Sie betraf und betrifft bis heute alle Bereiche von Wirklichkeit und Dingwelt.
Wo ist nach all den Desillusionen seit Weimar ein Elan des Aufbruchs zu vernehmen: in der Kunst, in der Politik? Wohl eher in der kapitalkräftigen Medienwelt farbig flitternder wie global durchschlagender Produkt-Werbung oder in den turbo-maschinellen, auch techno-spirituellen Verheißungen Kaliforniens. Das führt zu den ganz großen Themen und Fragen: Steuern wir, nicht nur im Westen, auf eine neue kulturelle und politische (Post-)Moderne zu? Welche gestaltende Rolle darf, kann oder sollte hierbei eine parlamentarische Republik spielen, wenn sie zugleich europäisch ausgerichtet ist? Welche neuen Wissensregionen gilt es zu erschließen, welche kreativen Kompetenzen zu entfalten und zu vernetzen. Welche Ästhetik kommt dabei zum Zuge? Letztere gehört noch immer zum Bild des Menschen und zu den Räumen seiner Entfaltung, deren Zukunft es unter Bedingungen erhöhter Komplexität zu konturieren gilt.
Dezidiert antwortete Thomas Mann in der Weimarer Republik auf den häufig anzutreffenden Rückzug aus der politischen Agenda, als folge er Gropius: „Jener Verzicht des Geistes auf die Politik ist ein Irrtum, eine Selbsttäuschung“. Den heutigen Architekten, die in Zeiten von Generalbauunternehmern weiter schwer um ihr Selbstbild ringen, muss man das längst nicht mehr sagen. Auch in diesem Sinne ist Moderne eine Frage der ästhetischen wie politischen Haltung.