Leserbrief
13. Januar 2019
Welt am Sonntag „Ein bißchen Bauhaus“
In ihrer ganzseitigen Rezension der Initiative „100 Jahre Bauhaus im Westen“, die der Landschaftsverband Rheinland und Westfalen als auch das Ministerium für Kultur NRW zum Gründungsjahr des Bauhauses in Weimar, organisiert haben, bezweifelt die Autorin des Artikels „Ein bisschen Bauhaus“ (13. 1. 2019), dass das heutige Land NRW überhaupt etwas zur Geschichte des Bauhauses beizutragen hat. Vielmehr habe sich das Bauhaus im Osten Deutschlands abgespielt, in Weimar und in Dessau. Sie spricht von einer „BAUHAUS-DIASPORA“ und ist der Meinung, dass „NRW als Bauhaus-Fundstelle ...eher zu vernachlässigen ist.“
Einmal abgesehen von vielen Unkorrektheiten, die diesen Artikel kennzeichnen, die aber eher das gängige Bauhausbild als die äußerst intensive Forschung zu der ehemaligen Schule wiedergeben: das Bauhaus lässt sich eben nicht auf Mies van der Rohes „less is more“ reduzieren und auch nicht auf geo-und stereometrische Grundformen und Grundfarben, sondern ist vielgestaltig und heterogen, worauf ja gerade die neuesten Beiträge zum Jubiläum abheben. Die Autorin verkennt eine Grundthese der Initiative „Bauhaus im Westen“: Viele Aktivitäten und Netzwerke im Westen haben das Bauhaus maßgeblich vorbereitet.
Da ist natürlich der Hagener Mäzen Karl Ernst Osthaus, der den jungen Gropius sehr gefördert hat und für den Gropius eine berühmte „Industriebauten-Ausstellung“ zusammenstellte und der in der Folge viele programmatische Aufsätze zur Leitfunktion der Industrie für das Neue Bauen schrieb. Es war nicht nur sein Kontakt mit dem Vorgänger des Weimarer Bauhauses, Henry van de Velde, der das Industriegebiet für moderne Kunst öffnete, sondern ein äußerst dichtes Netz an Mäzenen, wofür der Name von der Heydt in Wuppertal steht, die die Bereitschaft des stark verstädterten Gebietes für moderne Kultur spiegeln. Die berühmte Sonderbundausstellung, ein Erweckungserlebnis für viele junge Künstler, fand 1912 in Köln statt, zwei Jahre später am selben Ort die Werkbundausstellung, auf der Gropius sein Bürogebäude realisierte und van de Velde sein Theater.
Aufgrund des wirtschaftlichen Booms der Gründerzeit befanden sich hier die reichsten Städte Deutschlands und es waren viele Unternehmer im Rheinland, die sich mit moderner Werbung
ein eigenes corporate design schufen. Osthaus hat die blühende Landschaft der modernen Werbegrafik in seinem „Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“ gesammelt – ein Wandermuseum, das durch die ganze Welt tourte, auch in Zügen und Messen, bis in die USA – lange bevor das Bauhaus seine Pforten öffnete. Warum konnten im sog. „Dritten Reich“ Bauhäusler wie Oskar Schlemmer – dessen Lackkabinett die Autorin großformatig abbildet – in Wuppertal untertauchen? Warum so viele in dieser Zeit in Krefeld als Lehrer? In erster Linie durch die Unterstützung von Industriellen und weil der kulturelle Nährboden für die Moderne hier vorbereitet war.
Da war vor allem die überragende Figur von Peter Behrens an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf – und nicht nur er: auch die anderen Lehrer, wie der wichtige J.L.M. Lauweriks, der Gropius’ alter ego Adolf Meyer als seinen Schüler beeinflusste, da war der einflussreiche Fritz Helmuth Ehmcke mit seiner Typografie u.v.m.. Und da war nicht nur Ludwig Mies van der Rohe in Krefeld. Die Ausstellung „Der westdeutsche Impuls“. 1984, in 5 NRW-Städten, (ich habe selbst den Krefelder Teil konzipiert und organisiert) hatte viele diese Initiativen „im Industriegebiet“ offengelegt.
Das Bauhaus war keine Marke, auch wenn es von Gropius als solche inszeniert und nach 1945 noch lange als Ursprung der Moderne propagiert wurde. Dass die sog. Bauhausidee lange vorbereitet wurde – und das maßgeblich im Westen – diese These hätte etwas pointierter formuliert werden sollen – das mag sein. Es ist aber auch viel Forschung von der Autorin des Artikels nicht wahrgenommen worden, sie bestätigt vielmehr ein Vorurteil. Ich halte den Beitrag der Initiatoren von „100 Jahre Bauhaus im Westen“ für wichtig, nicht nur als Mitglied des Beirates dieser Initiative, sondern auch vor dem Hintergrund langjähriger eigener Forschung in diesem Gebiet.
Prof. em. Dr. Gerda Breuer, ehemals Kunst- und Designhistorikerin der Berg. Universität Wuppertal
100 Jahre Bauhaus
Tief im Westen
Die Wiege stand im Osten. Trotzdem feiert auch Nordrhein-Westfalen das Bauhaus-Jubiläum - mit dem Programm „100 Jahre Bauhaus im Westen“. Wichtige Impulse für die Entstehung der Gestaltungsschule seien von hier gekommen, sagt Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Bauhäuser standen auch an Rhein und Ruhr
Zu „Trittbrettbauherren bitten zur Party" von Andreas Rossmann (F.A.Z. vo 19. Dezember):
Auch das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt sich an der Feier des Bauhaus-Geburtstages. Ihr Korrespondent Andreas Rossmann wirft den Verantwortlichen vor, in einer Mischung aus Inkompetenz und Leichtsinn Etikettenschwindel zu betreiben. Rossmann versteht sich offenbar als eine Art Gralshüter der Marke Bauhaus. Dabei bestreitet niemand im ganzen Land, dass die „Ikonen" der weltberühmten Reformschule vor allem in Weimar und Dessau zu finden sind und nicht in NRW. Streng genommen gehören nicht einmal die von Rossmann für noch jubiläumswürdig befundenen Krefelder Villenbauten von Ludwig Mies van der Rohe zum eng definierten Bauhaus. Der letzte Bauhaus-Direktor konzipierte sie vor seiner Dienstzeit in Dessau und Berlin.
Nun muss man für eine Auseinandersetzung mit dem Bauhaus-Jubiläum dreierlei wissen. Zum einen erfährt das Gedenkjahr nicht nur eine geographische Ausweitung, indem alle Bundesländer zu eigenen Beiträgen eingeladen sind. So kann zugleich eine Vertiefung und Kontextualisierung der Bauhaus-Idee erfolgen, die ja in Weimar nicht vom Himmel gefallen ist, sondern an vielen Orten gereift war, gerade auch an Rhein und Ruhr. Zum zweiten ist der Stand der Forschung, wie ihn der begleitende wissenschaftliche Beirat vertritt, dass es „das" Bauhaus gar nicht gibt, dafür eine Vielzahl von Strömungen innerhalb der Bauhaus-Bewegung, die jedenfalls nicht, wie häufig geschehen, auf Architektur, erst recht nicht auf die bekannten Baukunstikonen, zu reduzieren ist. Insofern gab beziehungsweise gibt es viele Bauhäuser. Schließlich steht auf dem Programm des Bauhaus-Jahres, die an der Bauhaus-Schule vertretenen Modernen kritisch zu reflektieren. Es wird entsprechend nach der Vielfalt des Erbes der Moderne gefragt, und es geht explizit um kulturelle und politische Aufklärungsarbeit, nicht um die Verteidigung eines in Bild und Bedeutung festgefügten Mythos. Alle sind eingeladen, sich an dieser spannenden Diskussion zu beteiligen. Andreas Rossmann hat das Gespräch mit den Projektverantwortlichen in NRW leider nicht gesucht. So ist ihm wohl auch der nicht nur hier vertretene, keinesfalls leichtfertige oder anbiedernde Ansatz entgangen, auch mit der Werbung Schwellenängste gegenüber einem zum ästhetischen Klischee hochgetunten oder auf eine Formel reduzierten Bauhaus abzubauen. Mit „BauhauslOO" will das „Laboratoriu der Moderne" (Babette Winter, Staatskanzlei Thüringen) programmatisch werden. Dem folgt das NRW-Projekt mit seinem Untertitel „Gestaltung und Demokratie. Neubeginn und Weichenstellungen in Rheinland und Westfalen" in aller Konsequenz. Es benötigt dazu keine Trittbretter, wohl aber gut informierte Kritik.
PROFESSOR DR. THOMAS SCHLEPER,
LENKUNGSKREIS BAUHAUS 100 IM WESTEN,
VILKERATH
Trittbrettbauherren bitten zur Party
Das Bauhaus hat in Nordrhein-Westfalen nur wenige Spuren hinterlassen. Trotzdem feiert man auch dort den hundertsten Geburtstag der Reformschule der Künste - mit Anbiederung und Geschichtsklitterungen.
Wenn am 16. Januar in der Berliner Akademie der Künste das "große Eröffnungsfestival" zum Bauhaus-Jubiläum beginnt, möchte Nordrhein-Westfalen nicht beiseitestehen. Der hundertste Geburtstag wird deutschlandweit gefeiert, elf Bundesländer beteiligen sich, die Kulturstiftung des Bundes lässt die Fördergelder sprudeln. "100 jahre bauhaus im westen": Das nordrhein-westfälische Projekt, veranstaltet vom Kulturministerium und den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe, suggeriert schon mit der Kleinschreibung Vertrautheit mit dem Thema, twittert unter dem anbiedernden Hashtag #bauhauswow und spricht die Protagonisten mit den Vornamen an: "geburtstag feiern mit lászló, oskar, mies und anni".
Gemeint sind László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer und Ludwig Mies van der Rohe, die Meister am Bauhaus waren, sowie Anni Albers, die von 1922 an dort studierte, 1925 ihren Lehrer Josef Albers heiratete und 1931 die Leitung der Webereiwerkstatt von Gunta Stölzl übernahm. Dass Mies als Einziger beim Nachnamen genannt wird, den er erst 1922 um den Geburtsnamen seiner Mutter (van der Rohe) ergänzte, lässt eine Ahnung auf Seiten der Projekterfinder vermuten, dass man es mit der kumpelhaften Vereinnahmung lieber doch nicht übertreiben sollte. Die Website "bauhaus100-im-westen" und ein bunter Flyer können es nicht verhehlen: Von den Architekten, die mit Werken in NRW angeführt werden, war nur einer am Bauhaus - eben Ludwig Mies van der Rohe. Alle anderen waren es nicht: Alfred Fischer, Dominikus Böhm, Fritz Schupp und Martin Kremmer, Wilhelm Kreis, Caspar Maria Grod und Wilhelm Riphahn, Bruno Paul, Otto Bartning und Rudolf Schwarz haben dort weder unterrichtet noch studiert.
Warum sie dennoch das "bauhausland NRW" repräsentieren (sollen oder wohl eher: müssen), liegt auf der Hand: weil es in Nordrhein-Westfalen so gut wie keine gebauten Spuren des Bauhauses gibt. Die einzige Ausnahme macht Krefeld, wo Mies van der Rohe für die Seidenbarone Hermann Lange und Josef Esters zwei benachbarte Villen entworfen hat, die 1930 fertiggestellt wurden. Im Jahr zuvor hatte der bereits prominente und international tätige Architekt den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona konzipiert - ein (temporäres) Gebäude, das die Moderne in luxuriöse Materialien (Travertin, Serpentinit, grüner Marmor aus Tinos) kleidet, "Baukunst", die dem "Baumaterialismus" des damaligen Direktors Hannes Meyer diametral entgegenstand.
Erst danach, am 1. August 1930, wurde Mies zu dessen Nachfolger am Bauhaus berufen. In Krefeld hat er im Jahr darauf mit dem Färberei- und HE-Gebäude der Vereinigten Seidenweberei AG (Verseidag) seinen einzigen Fabrikbau errichtet (und 1935 erweitert); seine Pläne für einen Golfclub in Krefeld-Traar (1930) und eine Villa für Langes Sohn Ulrich (1935) wurden ebenso wenig verwirklicht wie sein Entwurf für das Büro- und Versandgebäude der Verseidag (1937/38), mit dem nach dem Krieg, auf seine Empfehlung hin, Egon Eiermann beauftragt wurde.
Darüber hinaus kann Nordrhein-Westfalen zur Bauhaus-Architektur eine Marginalie beisteuern: das "Landhaus Ilse" im siegerländischen Burbach, die einzige bekannte Kopie des Musterhauses "Am Horn" in Weimar, das, entworfen von dem Künstler Georg Muche, 1923 als größtes Objekt für die erste Bauhaus-Ausstellung realisiert wurde. Doch war die Architektur damals noch kein Lehrfach, das wurde sie erst im April 1927. Das Atriumhaus diente nicht als Vorzeigestück, sondern als eine Art Showroom für Ausstattungsgegenstände wie Möbel, Lampen oder Teppiche, die in den Werkstätten der Schule angefertigt wurden. Die 1924 gebaute Replik blieb lange hinter Eternitplatten und grünem Wildwuchs versteckt; erst 2001 wurde sie entdeckt und ihre Bedeutung freigelegt.
Wie groß die Verlegenheit in NRW in Sachen Bauhaus ist, zeigt auch das Beispiel Heinrich Neuy (1911 bis 2003), eine lokale Größe, die mangels gewichtigerer Positionen ins Rampenlicht geschoben wird: Der gelernte Tischler aus Kevelaer besuchte in Dessau Kurse von Albers, Kandinsky und Mies, kehrte 1932 zum Handwerk zurück und übernahm fünf Jahre später die Tischlerei seines Schwiegervaters in Steinfurt, um erst nach 1960 wieder als Maler hervorzutreten. Das kleine Museum, das dem "jüngsten Bauhauskünstler" 2011 in Borghorst, einem Ortsteil von Steinfurt, eingerichtet wurde, rangiert als "eigenes Bauhaus-Museum" in der ersten Reihe.
Schon der "programmatische Auftakt" zu "100 jahre bauhaus im westen" setzte mit der Wahl des Ortes ein falsches Signal: Das Symposion fand Mitte September auf der Zeche Zollverein XII in Essen statt, einem neusachlichen Stahlfachwerkbau mit roten Ziegeln der Architekten Schupp und Kremmer, der, von der Großindustrie in Auftrag gegeben, die Stahl- und damit die Rüstungsproduktion befeuerte und mit dem Bauhaus-Gedanken, der, sozial zentriert, auf gesellschaftliche Veränderungen und die Gestaltung des Alltags zielt, nicht vereinbar ist. Auch andere Architekturen, die im Westen für das Bauhaus reklamiert werden, sind weit hergeholt: So orientiert sich die Kölner Siedlung "Weiße Stadt" (1926/27) von Grod und Riphahn am "Neuen Frankfurt" von Ernst May, so blieb Wilhelm Kreis auch in seiner modernen Phase einem monumentalen Ausdruck verhaftet.
Wenn es schließlich heißt, "bis in den Kirchenbau eines Rudolf Schwarz" reiche "die Übersetzung der Bauhaus-Idee", wird die Geschichtsklitterung vollends absurd. Denn Schwarz, "Architekt einer anderen Moderne" (Wolfgang Pehnt), hatte sich 1929 schroff gegen die Bauhäusler gewandt, ihnen Verluste an Tradition und Gestaltungsreichtum vorgeworfen und ihr Koordinatenwerk als "senkrecht-waagerechten Rationalismus" abgetan. In der "Bauhaus-Debatte", die er 1951 entfachte und die zwei Jahre später hochkochte, verschärfte er den Ton: "Irrlehren materialistischer Art, funktionalistischer Art", "unerträgliche Phraseologie" und "Jargon der Komintern" - so polemisierte Schwarz gegen "Feinde der Menschheit, die sich einfach keine Rechenschaft mehr über ihr Treiben gaben".
Schon lange ist "Bauhaus" im allgemeinen Sprachgebrauch zum Synonym für moderne Architektur verkommen; auch darin findet die Mythologisierung der Reformschule ihren Ausdruck. Ein Projekt, das so tut, als seien die vielen Modernen und unterschiedlichen, miteinander rivalisierenden Avantgarden der Architektur alle unter "Bauhaus" zu subsumieren, schreibt das wohlfeile Missverständnis fort, wo es zum Jubiläum doch darauf ankommen müsste, das Bauhaus zu entmythologisieren und historisch einzuordnen. Dabei unterschlägt "100 jahre bauhaus im westen", aus Feierlaune und Kalenderdenken, nicht nur die architekturgeschichtliche Forschung, die in den vergangenen Jahrzehnten differenzierte Studien vorgelegt hat, sondern macht sich zugleich gemein mit jenem Etikettenschwindel der Immobilienwirtschaft, der die Marke zum Lifestyle-Klischee vermarktet und jeder noch so plumpen weißen Flachdach-Kiste das Prädikat "Bauhausstil" aufdrückt.
Diese Allianz ist umso befremdlicher, als das Rheinland, aber auch der westfälische Teil des Ruhrgebiets vor dem Ersten Weltkrieg eigene Wege und Wirkungsorte der Moderne ausprägten, die Ideen und Aktivitäten des Bauhauses antizipierten: Der Hagener Sammler und Mäzen Karl Ernst Osthaus, der das Museum Folkwang und das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe gründete, die nach seinem Tod 1921 nach Essen und Krefeld verkauft wurden, Peter Behrens und die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, der Barmer Kunstverein unter Richart Reiche, die Kölner Werkbund-Ausstellung 1914 und die Essener Siedlung Margarethenhöhe waren Themen des dezentralen Ausstellungszyklus "Der westdeutsche Impuls 1900-1914", den Museen in Düsseldorf, Essen, Hagen, Köln, Krefeld und Wuppertal 1984 auffächerten. Eine gute Generation später haben sich Perspektiven und Sichtweisen verändert. Gerade deswegen hätte ein kritischer und selbstbewusster nordrhein-westfälischer Beitrag zum (und gegen das) Bauhaus-Jubiläum darauf aufbauen können.
ANDREAS ROSSMANN
erschienen in der F.A.Z. am 19.12.2018, Feuilleton, S. 11.